Die
»Rondo«:
endlich
ein Musik-
instrument!

Prof. Dr.
Nico Schalz


























































































Inhalt


 
Um mich nicht ständig zu wiederholen, fasse ich die wesentlichen Eigenschaften, die ich aus der »Rondo« bei der Wiedergabe dieser Beispiele herausgehört habe, im folgenden in einer Art Katalog zusammen. Damit ist gesagt, daß sie grundsätzlich und gleichermaßen auf alle Beispiele passen, auch wenn ich einzelne Eigenschaften als für das eine oder andere Beispiel besonders charakteristisch herausgreife und an diesem konkreten Beispiel festzumachen suche.

1. Durchgängigkeit: Dieser Begriff steht wohl nicht im Duden, müßte aber doch verständlich sein. Gemeint ist eine Wirkung der Musik, die man als einheitliches Kontinuum wahrnimmt, ob sie nun aus hohen in tiefe Lagen, aus piano- in forte-Räume, aus legato- in staccato-Bögen usw. übergeht. Voraussetzung ist natürlich, daß die Aufnahmetechnik nichts am Originalkontinuum manipuliert hat. Diese Voraussetzung ist besonders im ältesten Beispiel (Ausschnitte aus Puccinis La Bohème) wie im jüngsten (Ausschnitte aus der Jazzplatte von Patricia Barber) gegeben. Die »Rondo« zeichnet einen durchgängig ebenmäßigen, nicht in sich unruhig wechselnden Klang der Stimmen nach, eine bruchlose Durchformung der Vokalität, die gerade deswegen an einer so perfekt ausnüancierenden und ständig sich subtil abschattierenden Stimme wie der der Callas das Leben der Musik offenzulegen vermag.

2. Natürlichkeit: Nichts wird am Original verändert, der Klang der Stimmen wie der Instrumente bleibt jederzeit bestehen, es wird weder ein Klang gemildert, noch verstärkt, noch in sich selbst zu einem anderen hin verschoben. Ich greife nur das Adagio aus Mozarts ungewöhnlicher Gran Partitia für 12 Bläser und Kontrabaß (Bsp. 4) heraus, bis heute eine der unkonventionellsten Klangfantasien der Musikgeschichte; hier kann man lernen, wie eine Oboe, wie eine Klarinette, wie ein Fagott, wie ein Horn usw. klingt, hier wird hörbar gemacht, wie der Atem der Bläser geformt ist, wie ein Ton sich aufbaut und wieder abschwillt. Man dringt gleichsam in die Materie der Musik ein, in das Davor vor jeder motivischen Zeichnung. Wunderbar präsent auch wird das rauchige Timbre von Partricia Barber eingefangen, wunderbar die ins Leise verhallenden Drums-Strukturen von Mark Walker (Bsp. 1).

3. Durchsichtigkeit bzw. Durchhörbarkeit und Klarheit: Dieses Moment ist womöglich das charakteristischste der »Rondo«, das, was sie immer und in allen Fällen vor anderen Lautsprechern herausheben wird. Sie kann gar nicht anders als durchsichtig und klar spielen. Sie tut damit sicher auch jenen Aufnahmen schon etwas Gutes, die mit dickem und spektakulärem Klang protzen: Alles wird hier schlanker klingen. Doch selbstverständlich kommt sie am meisten jenen entgegen, die von sich aus schon diese Klarheit haben. Das Neu-Lesen des Siegfried Idylls (Bsp. 9) durch Neville Marriner wird über die »Rondo« zu einem Ereignis; ich bin wahrlich kein Wagner-Fan, aber hier kommt, genau wie im miteingespielten Adagio für Klarinette und Streicher, ein mozartscher Zug in die Musik herein, der sie aus vielem historischen Schutt herausgräbt und ein Fluidum ständig wechselnder Strukturen und Klangflächen zu Tage fördert, das erst wieder in Debussy, dem erklärten Wagner-Antipoden, eine Fortsetzung findet.

4. Feinheit/Zartheit: Diese Eigenschaft ist eine Variante der vorausgehenden. Die »Rondo« leistet die Wiederentdeckung des piano, das Nachhorchen in die Wölbungen musikalischer Linien. Sie ist für kammermusikalische Belange wie geschaffen, was nicht heißt, daß sie nicht auch der Dynamik großer Sinfonik gerecht wird. Sie hilft, das Ohr zu verfeinern, sie schafft intime Räume, in denen dann gerade Musik wie die in den Beispielen 1, 2 und 4 genannte erst ihren inneren Reichtum entfalten kann; am beeindruckendsten in dieser Beziehung fand ich die Sätze aus Mozarts Gran Partitia.

5. Räumlichkeit:
Die Außenseite, die Extroversion solcher Sensibilität heißt Räumlichkeit, das heißt: Die Wiedergabe der räumlichen Staffelung (in die Breite und in die Tiefe), soweit sie von der Aufnahmetechnik übertragen wurde. Hier muß man natürlich in die Beispiele hineinhören, die einen größeren instrumentalen und vokalen Apparat vorweisen. Das Quartett Andró mingo e solo aus Mozarts Idomeneo (Bsp. 4) wird präzise in einer Ortung wiedergegen, die das Auseinanderstehen der Protagonisten als Zeichen ihrer inneren Isolation perfekt abbildet. Wagners Siegfried Idyll (Bsp. 9) präsentiert sich als Gleiten der einzelnen Klangstrukturen zwischen Raumtiefe und Raumvordergrund. Am faszinierendsten zeigt sich die »Rondo« in den Bachbeispielen 6 und 7. Präludium und Fuge in D-Dur für Orgel sind von Szigmond Szathmary sowieso schon auf ungewöhnliche Weise interpretiert worden, in einer äußerst virtuosen, total leichten, lockeren Art, ohne den typischen Sakralsound, der Bach leider oft verpaßt wird. Dazu kommt ein grandioser Klangfarbenwechsel aufgrund der ungemein farbigen Register, die die historische Marcussen-Orgel der Holmens-Kirche aus Kopenhagen zur Verfügung stellt und, nicht zuletzt, die Eigenart der Fuge besonders, ständig mit echoierenden Wiederholungen zu arbeiten. So entsteht - über die »Rondo« verdeutlicht - ein traumhaftes Spiel mit der Raumtiefe, mit dem Vorne-Hinten, verstärkt durch die dynamischen Schattierungen anhand der Echostrukturen des Werks. Auch die Bach-Motette Singet dem Herrn partizipiert an diesen Raumspielen, insofern als nicht nur das horizontale Gegenüber der beiden Chöre deutlich hörbar wird, sondern auch die darüber gelagerte Mischung von Solostimmen und Tutti-Klang, dazu das Dynamik-Wechselbad des Stückes. Damit sind wir auch schon beim nächsten Punkt.

6. Dynamik und Ausdruck: Wer geglaubt hat, daß ein einziger Breitbandtreiber sich einer großen Dynamik- und Ausdruckspalette verweigern würde, wird hier angenehm enttäuscht. Einmal reagiert die »Rondo« extrem schnell auf Impulse ihrer Schallquelle, zum anderen werden laut- leise-Unterschiede auch bei niedrigen Hörpegeln äußerst genau wiedergegeben und drittens setzt sie die Farben der Musik mit packender Ausdruckskraft um: Präludium und Fuge in A-Moll aus dem 2. Band des Wohltemperierten Klaviers von Bach in der stilgerechten Interpretation durch Gustav Leonhardt (Bsp. 5), packende Stücke von heftigen Affekten, werden so in ihrer immanenten Dramatik und Sinnlichkeit übertragen, daß sogar die nackten Materialschichten des Klanges, Schnarren und Anschlagen der Saiten, “auf den Leib rücken“. Ähnliches gilt für das extrem erregte Madrigal Monteverdis (Bsp. 8), eine fulminante kriegerische Liebesmusik von eindringlicher Sinnlichkeit: Die »Rondo« läßt aus nächster Nähe die tausenden von Liebespfeilen hörbar werden, die zwischen den Liebenden hinundher fliegen.

Abschließend: Wenn ich die »Rondo« nur in einem einzigen Satz, nur in wenigen Worten charakterisieren müßte, würde ich sagen: Es ist untrüglicher Verlaß auf ihre Durchsichtigkeit, Klarheit und Natürlichkeit. Dies macht eine gewisse Strenge (im Sinne von konstanter Unerbittlichkeit) aus. Lieber würde ich statt Strenge den etwas verpönten Begriff "Reinheit" einsetzen. Die »Rondo« hat etwas von einer kostbaren, fast rituellen Unantastbarkeit. Die »Rondo«: endlich ein Musikinstrument!

Prof. Dr. Nicolas Schalz, Hochschule für Künste Bremen,
Fachbereich Musik Bremen, den 12. Juli 2000

Lesen Sie einen weiteren Bericht zur Rondo aus “Diapason“ und Pressenotizen zur HighEnd 2000 unter “Presse“.